Reinheit durch Überwältigung? Warum Non-con-Storys mich kalt lassen
- Kisa Thaleen
- vor 5 Tagen
- 3 Min. Lesezeit
Ich habe nichts gegen Überwältigungsfantasien. Im Gegenteil: Sie können ein spannendes Mittel sein, um Macht, Lust und Grenzbereiche des Begehrens zu erkunden. Was mich an vielen non-con (Dark Romance)-Geschichten jedoch stört, ist nicht das Spiel mit Dominanz und Ohnmacht an sich – sondern das veraltete, tief patriarchal geprägte Frauenbild, das diesen Fantasien häufig zugrunde liegt.

Sünde, Scham und die „reine“ Frau
„Wollust“ taucht in der christlichen Tradition als eine der sieben Todsünden auf – und sie haftet, historisch gesehen, besonders hartnäckig an Frauen. Hexenprozesse sind dafür ein drastisches Beispiel: Frauen wurden der Wollust bezichtigt, verfolgt und hingerichtet. Es reichte, weiblichem Begehren eine Stimme zu geben, um es zu kriminalisieren.
Dieses Erbe wirkt nach. Es führt zu einem merkwürdigen Dilemma: Männer dürfen Sex wollen. Frauen hingegen sollen möglichst rein, unschuldig und zurückhaltend sein – aber natürlich müssen sie auf irgendeine Art verfügbar sein, denn die männliche Lust muss ja irgendwo hin.
Die Dramaturgie hat dafür eine einfache Lösung gefunden: Die Lust der Frau muss verlagert oder umdeklariert werden, damit sie gesellschaftlich (und literarisch) „akzeptabel“ bleibt – Überwältigung als narrative Entlastung.
Das Muster ist vertraut: Eine Heldin wehrt sich mit Zähnen und Klauen, wird genommen und bricht schließlich unter seiner Leidenschaft zusammen. Der Mann bekommt Sex (und Macht). Ihr Begehren bleibt unsichtbar – oder wird erst im Nachhinein, als Reaktion auf seine Tat, „erweckt“. So wird Lust erzählt, ohne dass sie der Frau zugeschrieben werden muss. Der Mann bekommt seinen Sex, die Frau ihre narrative Unschuld, weil sie ja nicht aktiv zustimmte. Alles fein.
Das ist nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern ein ideologisches. Non‑con wird an dieser Stelle zur Lust-Entlastungsmaschine: Sie erlaubt weibliche Erregung im Text, ohne die Figur (und damit die Leserin als Identifikationsfläche) der „Schuld“ eigener Wollust auszusetzen. Weibliche Sexualität bleibt passiv, abgeleitet, ausgelöst – aber nicht eigenständig. Das Problem ist also nicht die Überwältigungsfantasie an sich, sondern das, was sie verschleiert: den Unwillen (oder die Angst), weibliches Begehren als aktiv, laut, selbstbestimmt und machtvoll zu erzählen.
Die eigentliche Provokation heute: „Ich will das.“
Vielleicht liegt der wahre Tabubruch im Jahr 2025 gar nicht mehr in Szenen der Überwältigung, sondern in einer Figur, die klar sagt: „Ich will das. Ich will dich. Ich will Macht, Lust, Risiko, Unterwerfung, Hingabe, Überwältigung, vielleicht sogar Schmerz – aus freien Stücken.“ Ohne Ausrede, ohne Reue, ohne falsche Scham. Und vor allem ohne narrative Waschung der Hände in Unschuld.
Solche Sätze sind radikal, weil sie das tief sitzende Dogma herausfordern, weibliches Begehren müsse entweder unsichtbar oder bestraft werden. Sie sind unbequem, weil sie weder Täter-Excuses noch Opfer-Entlastung liefern. Und sie sind literarisch spannend, weil sie neue Konflikte öffnen: Was bedeutet Verantwortung für das eigene Begehren? Welche Machtspiele entstehen, wenn beide Seiten wollen – und dennoch mit Grenzen, Trauma und Ambivalenzen ringen?
Macht, Dunkelheit, Konsens – geht das zusammen?
Ja. Man kann düstere Dynamiken, BDSM, Kontrollverlust-Fantasien und Machtgefälle reflektiert erzählen – ohne die alte Reinheitslogik zu bedienen. Einige mögliche Wege:
Expliziter, begehrter Konsens: Zustimmung kann sinnlich sein. „Ja“ kann genauso erotisch knistern wie ein „Nein“ – wenn es nicht als Pflichtübung, sondern als Teil des Spiels inszeniert wird.
Ambivalente Figuren statt reine Opfer/Täter-Schablonen: Eine Frau, die Lust an Ohnmacht und an Macht hat. Ein Mann, der dominiert, aber nicht, um Reinheitsfantasien zu retten, sondern weil beide eine Dynamik aushandeln.
Reflexion statt Romantisierung: Dunkelheit darf dunkel bleiben – aber sie sollte gesehen, benannt, verhandelt werden, statt als romantische Abkürzung für weibliche Unschuld zu dienen.
Weibliches Begehren im Zentrum: Zeige, wie, warum und woraufhin die Protagonistin Lust entwickelt. Lass sie Worte dafür finden. Lass sie sich Fragen stellen. Lass sie scheitern – und sich selbst finden.
Warum mich das alles betrifft
Weil ich Geschichten liebe, die riskieren, ehrlich mit Begehren umzugehen – gerade in den Schattenzonen. Weil ich mich nicht mit einem Narrativ zufriedengeben will, das weibliche Lust nur dann zulässt, wenn sie abgesprochen oder „geraubt“ wird. Und weil ich glaube, dass wir Leserinnen (und Autorinnen) weiter sind als diese bequeme Dramaturgie.
Ich wünsche mir Dark Romance, die wirklich „dark“ ist – nicht, weil sie Gewalt romantisiert, sondern weil sie in die dunkleren, komplexeren Winkel der Psyche schaut: Macht, Scham, Abhängigkeit, Sehnsucht, Stolz. Und ich wünsche mir Romance, die wirklich „romance“ ist – weil sie die Figuren mit ihrem Begehren ernst nimmt, statt ihnen den Schutzmantel der angeblichen Reinheit umzuhängen.
Vielleicht brauchen wir nicht weniger Dark Romance – sondern klügere
Klüger im Umgang mit Konsens. Klüger im Verständnis von Lust. Klüger in der Dekonstruktion historischer Narrative, die Frauen zum Objekt und Männer zum Motor machen.
Die Herausforderung (und Chance) für Autor*innen liegt darin, die erotische Spannung nicht aus der Verneinung weiblicher Lust zu ziehen, sondern aus ihrer Präsenz. Nicht aus dem „Sie wehrt sich, er nimmt“, sondern aus dem „Beide wollen – doch was heißt das, wenn Macht, Trauma und gesellschaftliche Skripte mit am Tisch sitzen?“
Das ist schwieriger zu schreiben. Aber genau deshalb ist es reizvoll.
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