Warum ich das Genre "Dark Romance" inzwischen sehr problematisch finde
- Kisa Thaleen
- 10. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Dark Romance – das klang für mich lange nach intensiven Gefühlen, nach Geschichten, die Grenzen ausloten, ohne sie zu überschreiten. Geschichten, in denen Licht nur dann erstrahlen kann, wenn es die Dunkelheit überwindet. Geschichten, in denen gebrochene Seelen einander retten – oder zumindest gemeinsam untergehen.
Doch wenn ich mir das Genre heute ansehe, habe ich das Gefühl: Dark Romance ist längst nicht mehr das, was es einmal war.

Statt starker Emotionen und komplexer Charaktere scheint es heute in vielen Fällen nur noch darum zu gehen, wer die krasseste Geschichte schreibt. Wer mehr Tabus brechen, mehr Gewalt zeigen, noch brutaler, noch schmutziger, noch respektloser erzählen kann. Oft sind diese Bücher nicht einmal besonders gut geschrieben – aber sie provozieren. Und das scheint zu reichen.
Besonders irritierend finde ich dabei, dass oft sehr fragwürdige Beziehungskonstellationen als romantisch inszeniert werden. Und nein, ich spreche nicht von dunklen Fantasien oder komplexen psychologischen Dynamiken – sondern von klaren Grenzüberschreitungen, die nicht hinterfragt, sondern verklärt werden.
Was mich dabei immer wieder beschäftigt: Viele dieser Geschichten entziehen der weiblichen Hauptfigur jegliche Handlungsmacht. Sie reagiert, aber sie entscheidet nicht. Ihre Wünsche, Grenzen und Bedürfnisse werden ignoriert oder bestenfalls zur Nebensache erklärt. Ihre Rolle besteht häufig darin, zu verzeihen, zu verfallen oder zu gehorchen – selten darin, sich zu emanzipieren oder selbst zu definieren. Das wirft für mich die Frage auf: Warum gilt eine Frau, die sich selbst behauptet, so oft als „unromantisch“, während Selbstaufgabe und Leidensfähigkeit glorifiziert werden?
Natürlich will ich niemandem den Lesegenuss absprechen. Jede*r darf lesen, was sie oder er möchte. Und ich weiß auch, dass gerade in der Fantasie vieles erlaubt ist, was im echten Leben niemals in Ordnung wäre. Dennoch: Ich finde, wir sollten darüber sprechen, welchen Einfluss diese Geschichten auf uns haben können – gerade weil sie so unterhaltsam verpackt sind.
Denn so sehr das Argument „Aber wir wissen doch, dass das Fiktion ist“ immer wieder bemüht wird – ich halte es für zu kurz gedacht. Ja, auch Horrorfilme sind Fiktion, auch Thriller zeigen uns grausame Dinge. Aber: Im Horror ist das Böse klar benannt. Wir erschrecken uns, ekeln uns, erleben den Nervenkitzel – doch wir wissen, wer der Täter ist. Wir stehen nicht auf seiner Seite.
In vielen Dark Romance Romanen hingegen werden Täter zu Helden gemacht. Vergewaltigung wird romantisiert. Gewalt wird zur Sprache der Liebe erklärt. Und das Problem beginnt da, wo das alles nicht mehr als das benannt wird, was es ist. Wo die Bezeichnung „Romance“ plötzlich für Geschichten steht, die mit Romantik nichts mehr zu tun haben – sondern eigentlich in den Bereich Gore oder psychologischer Horror gehören würden.
Natürlich wachen wir nicht plötzlich eines Morgens auf und finden toxische Gewaltbeziehungen in der Realität erstrebenswert. Aber der Einfluss findet subtil statt.
Wir gewöhnen uns an bestimmte Narrative, bestimmte Rollenbilder, bestimmte Dynamiken. Selbst bei vermeintlich harmlosen Formaten wie Sitcoms oder Jugendserien wurde bereits gezeigt, wie sich die Wahrnehmung von Beziehungen oder Geschlechterrollen langfristig verändert. Studien wie die des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zeigen, dass Medien unser Weltbild mitprägen – selbst wenn wir meinen, uns davon distanzieren zu können.
Zum Thema Einfluss von Pornokonsum auf junge Menschen gibt es sogar eine ganze Reihe von Studien – z. B. von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der UNESCO oder des Journal of Sex Research, die zeigen, wie sich häufige Rezeption auf das Körperbild, die Einstellungen zu Geschlechterrollen oder die eigene Sexualität auswirken kann – insbesondere bei jungen Menschen.
Warum sollte das bei Büchern anders sein? Wenn Gewalt gegen Frauen in einer Geschichte nicht nur entschuldigt, sondern mit Liebe belohnt wird, kann das unsere Wahrnehmung verschieben. Vielleicht nicht sofort. Aber Stück für Stück. Die Hemmschwelle sinkt nicht über Nacht – sondern in kleinen, kaum spürbaren Schritten.
Ein weiterer Aspekt, den ich kritisch sehe, ist die Genrebezeichnung selbst: „Romance“. Wenn das, was in manchen dieser Geschichten passiert, ernsthaft unter dem Label „Liebesgeschichte“ läuft, verschieben wir die Grenzen dessen, was Liebe bedeuten darf. Vieles davon ist nicht romantisch, sondern schlichtweg Gewalt oder psychologischer Missbrauch. Nur weil es am Ende ein Happy End gibt – oder weil die Protagonistin ihre Gefühle nicht einordnen kann –, macht es das nicht automatisch zu einer Liebesgeschichte.
Ich möchte an dieser Stelle betonen: Ich will niemanden für seine Kinks oder Fantasien verurteilen – ganz im Gegenteil: Ich finde, wir sollten viel offener über Sexualität sprechen. Auch über dominante Fantasien, über Überwältigungsszenarien oder BDSM. Ich weiß, dass sexuelle Fantasien auch dazu dienen können, eigene Traumata zu verarbeiten. Ich weiß, dass Überwältigungsfantasien häufig gar nichts mit echtem Machtmissbrauch zu tun haben. Und natürlich dürfen Frauen auch harte, wilde, tabulose Sexfantasien haben und genießen – das steht außer Frage.
Aber ich wünsche mir zwei Dinge: Erstens, mehr Geschichten, in denen einvernehmlicher harter Sex thematisiert wird. In denen Dominanz und Hingabe stattfinden – aber mit Empathie, mit Respekt, mit Consent. In denen eine Frau ihre (gerne auch harten) sexuellen Wünsche ausleben darf, ohne dafür ausgebeutet zu werden.
Und zweitens, eine klare Unterscheidung in der Genrebezeichnung. Wenn eine Geschichte kein romantisches Fundament mehr hat, sondern nur noch auf Gewalt, Missbrauch und Entmenschlichung basiert, dann sollte sie auch nicht mehr unter Romance laufen. Dann wäre es vielleicht fairer, solche Geschichten als „Erotic Horror“, „Dark Erotica“ oder „Psychosexual Thriller“ zu kennzeichnen.
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